Crailsheimer Luftwaffenhelfer
(Quelle: „Crailsheim 1944 – eine Stadt im totalen Krieg“, Crailsheim 2004.
Die dort angegebenen Namen der Luftwaffenhelfer und ihre Bilder sind hier nicht übernommen.)
Verordnung vom 26. Januar 1943
„Durch gemeinsame Anordnung des Oberbefehlshabers der Luftwaffe, des Leiters der Parteikanzlei, des Reichsminister des Inneren … und des Reichsjugendführers wurde festgelegt, dass Schüler der höheren
Schulen in luftbedrohten Gebieten eingesetzt werden sollen, wobei die Luftwaffenhelfer im Heimatort und in unmittelbarer Nähe verbleiben …
Mit dem Kriegseinsatz der deutschen Jugend ist ein weiterer Schritt zur totalen Mobilisierung aller Kräfte des deutschen Volkes getan.“
Diese Verordnung hatte das Datum vom 26. Januar 1943 und ging auf einen direkten Führerbefehl zurück. Sie erfasste die Schüler der Jahrgänge 1926 und 1927.
Die offizielle Bezeichnung war Luftwaffenhelfer (HJ).
Die
Crailsheimer Oberschülerwaren dadurch vorerst noch nicht betroffen. Heimat-Flakbatterien gab es in Crailsheim noch nicht. Am 23. August 1943 wurde jedoch die Verordnung dahingehend verändert, dass
nun ein überörtlicher Einsatz möglich wurde. Schon am 26. August 1943 traf beim Leiter der Oberschule Crailsheim ein Brief der Flakgruppe Friedrichshafen (Flakregiment 96) ein, in dem mitgeteilt
wurde, dass die Schüler der 6., 7. und 8. Klasse zum Einsatz innerhalb des Befehlsbereiches der Flakgruppe Friedrichshafen kommen würden. Als Einziehungstermin wurde Montag, der 13. September 1943
festgelegt, der gleichzeitig Anreisetag nach Friedrichshafen sein sollte. Angefordert wurde auch eine Liste aller Schüler, einschließlich der, die aus gesundheitlichen, sonstigen oder wegen ihres
Einsatzes bei der HJ zurückgestellt worden waren. Ihre spätere Einberufung wurde vorbehalten.
Am 8.
September 1943 übermittelte das Landratsamt der Oberschule 36 Heranziehungsbescheide der
Jahrgänge 1926 und 1927.
Aus gesundheitlichen Gründen wurde ein Schüler zurückgestellt, zeitweise für die Hitlerjugend freigestellt wurden drei Schüler. (Sie wurden aber Anfang August 1944 dann doch noch Luftwaffenhelfer.) Eine Einweisung der zukünftigen Luftwaffenhelfer fand am Donnerstag, dem 9. September in der Oberschule statt.
Am 10. September kam ein Telegramm der Flakgruppe Friedrichshafen, dass die Heranziehung aufgeschoben werden müsse, da die Unterbringung Schwierigkeiten macht.
Der Ernstfall wurde dann per Einschreibebrief mit Datum 31.10.1943 bekannt gegeben. Die Flakgruppe erwartete 33 Schüler. 30
Schüler traten die Reise an.
Die Schüler, die Anfang November 1943 einen Heranziehungsbescheid bekamen, gehörten den damaligen Klassen 7 (11. Schuljahr) und 6 (10. Schuljahr) an. 13 Schüler der Klasse 7, hauptsächlich Jahrgang 1926 und einige vom Jahrgang 1927, und 17 Schüler der Klasse 6, die hauptsächlich 1927 geboren waren, verließen am 8. November 1943 Crailsheim und wurden zur Flakkaserne Friedrichshafen geleitet.
In Friedrichshafen gehörten die beiden Klassen verschiedenen Einheiten an, beide Klassen erhielten eine noch recht gründliche theoretische Ausbildung, auch am Kommando-, Funkmess- und Umwertungsgerät.
(Die Angaben gehen aus dem Schularchiv des Albert Schweizer Gymnasiums, Signatur 11 3q, hervor.)
Der Einsatz der Klasse 7 als Luftwaffenhelfer erfolgte in einer Batterie mit 8,8 cm Flakgeschützen in Friedrichshafen, das eines der am häufigsten angegriffenen Ziele im Südwesten war. Dadurch, dass der Hauptteil der Klasse aus dem Jahrgang 1926 bestand, der „anfällig" dafür war, bald zum Reichs- arbeitsdienst und zur Wehrmacht eingezogen zu werden, blieb die Klasse nicht lange zusammen. Schon am 7. Januar 1944 wurden die ersten des Jahrgangs 1926 als Luftwaffenhelfer entlassen. Der nächste Schub verließ die in Friedrichshafen in verschiedenen Stellungen eingesetzte Einheit im April 1944, der Rest der Klasse - die vom Jahrgang 1927 - wurde dann in die Pfalz verlegt. Auch für die 1927er endete die Zeit als Luftwaffenhelfer im September/Oktober 1944.
Der Jahrgang 1927 (Klasse 6)
Im Januar 1944 wurden die ebenfalls in Friedrichshafen, aber getrennt ausgebildeten Luftwaffenhelfer der Klasse 6 nach Innsbruck versetzt. Drei blieben in Friedrichshafen zurück und wurden erst in Schnetzenhausen und dann in Fischbach eingesetzt. Die Innsbrucker bezogen mit ihrer Batterie (4./s.705) mit 8,8 cm Flakgeschützen Stellung beim Tierpark in
Innsbruck im Westen der Stadt. Hier waren sie mit Luftwaffenhelfern anderer Schulen im Einsatz, darunter Schüler aus Mengen und von einer
nationalpolitischen Erziehungsanstalt aus Nürtingen. Die Aufgabe dieser Batterie bestand darin, die von Italien einfliegenden Verbände möglichst durch Störfeuer zum Ablenken zu veranlassen.
Es gab Schulunterricht, etwa zweimal die Woche, und zwar von Lehrkräften einer Innsbrucker Oberschule. Die Entlassung der Luftwaffenhelfer, die nun in die
7. Klasse (11. Schuljahr) der Oberschule für Jungen Crailsheim versetzt waren, erfolgte überwiegend im September 1944, die Einberufungen zum Reichsarbeitsdienst dann meist im Oktober und
November 1944.
Der Jahrgang 1928 (Klasse 5)
Am 10. Januar 1944 wurden die 17 Schüler der damaligen Klasse 5 (9. Schuljahr) der Crailsheimer Oberschule für Jungen von einem Unteroffizier der in Stuttgart liegenden Flakbatterie 5./s.460 abgeholt. Unter ihnen waren sechs vom Jahrgang 1927, alle anderen waren zu diesem Zeitpunkt erst 15 Jahre alt, die vom Jahrgang 1929 der Klasse blieben zuhause. Das galt auch für zwei Klassenkameraden, die als HJ-Führer dienstverpflichtet waren. Schulleiter Sigle war anwesend und verabschiedete die Schüler.
Die Unterbringung in Heumaden war in kleinen Baracken, von denen während eines Angriffs mehrere abbrannten. Die Ausbildung erfolgte sofort an den 8,8 cm Flakgeschützen und ihren Mess- und Richtgeräten. Einsatzbereitschaft war innerhalb von zwei Wochen hergestellt. Die Luftwaffenhelfer waren in fast allen Funktionen einsetzbar, in Normalfällen waren der Geschützführer, der Ladekanonier und der Führer des Kommandogeräts noch Soldaten. Schulunterricht gab es zweimal pro Woche durch Stuttgarter Lehrer, oft auch durch den Batteriechef (Mathematik) und einen Unteroffizier, der Studienrat war. Hier erfolgte auch noch die Versetzung in die Klasse 6 (10. Schuljahr). Die Schulzeugnisse trugen die Unterschrift des Betreuungslehrers, des schon genannten Unteroffiziers, des Batteriechefs und des Crailsheimer Schulleiters (siehe Abbildung).
Anfang Juli 1944 wurde die Batterie mit Geschützen und Geräten nach
Ost-Oberschlesien
verlegt, wenige Kilometer südwestlich von Auschwitz. Der Transport, dem 13 der Crailsheimer Luftwaffenhelfer dieser Klasse angehörten, fuhr durch Crailsheim. Da die Ankunftszeit bekannt war
und auch, dass es einen kurzen Aufenthalt geben würde, kamen einige Eltern zum Bahnhof, so dass sie die „Schüler-Soldaten" noch einmal vor diesem längeren Einsatz sehen konnten.
Drei der Crailsheimer Luftwaffenhelfer verblieben in Stuttgart und wurden einer Flakbatterie auf dem Birkenkopf zugeteilt, deren
andere Luftwaffenhelfer vor allem vom Eberhard-Ludwig-Gymnasium kamen. Ein Klassenkamerad war aus gesundheitlichen Gründen entlassen
worden.
Bei einem Dorf in der Nähe von Brzceszcze in Oberschlesien war keine Stellung vorbereitet, es gab nur flaches Land. Die Unterbringung der Luftwaffenhelfer war erst einmal in der Schule, dem einzigen Steinhaus im Dorf. Der Ausbau der Stellung und der Bau der Baracken erfolgte durch KZ-Häftlinge, die täglich vom Lager per Lkw kamen. Sie wurden von zwei bewaffneten Wachleuten begleitet. Die Arbeit selbst wurde von einem Häftlingskapo angeleitet. Ansonsten sah man ab und zu auch Arbeitskolonnen von Häftlingen zu Einsätzen in Dreierkolonne marschieren. Ins KZ kamen die Luftwaffenhelfer bei Krankheiten, die über die Möglichkeiten von Sanitätern hinausgingen. Sie wurden dann ins Krankenrevier der Bewachungsmannschaften im KZ verbracht. (Ein Crailsheimer Schüler, der über seinen "KZ-Aufenthalt" berichtete, sagte, dass er erst nach Kriegsende von Vergasungen in Auschwitz (Birkenau) erfahren hat. Sie waren für ihn von der Stellung und vom KZ aus nicht zu bemerken.)
Der Zweck der im Gebiet von Auschwitz sehr massiert installierten Flakbatterien galt dem Schutz von Industrieanlagen. Vor allem sollten die dort vorhandenen Hydrieranlagen geschützt werden. Was auch lange gelang. Die Amerikaner flogen sehr viele Angriffe. Sie kamen aus Italien und flogen über Ungarn ein. Und das meist zur selben Zeit, so dass der Dienstplan danach eingerichtet werden konnte.
Es gab hier in der Stellung regelmäßigeren Unterricht als in Stuttgart. Von der Schule der
miteingesetzten Stuttgarter Schüler kam für einige Wochen sogar ein Lehrer. Der Unterricht wurde
auch hier von Soldaten erteilt, die im Zivilberuf Lehrer waren. Zu Weihnachten 1944 gab es nochmals Zeugnisse, wiederum vom Betreuungslehrer (Unteroffizier und Studienrat), dem Batteriechef und
Herrn Sigle unterschrieben. Sechs der Luftwaffenhelfer, alle Jahrgang 1927, waren im September entlassen worden und wurden im Oktober 1944 zum
Reichsarbeitsdienst eingezogen.
Die Luftwaffenhelfer hatten anfänglich HJ-Armbinden getragen. Bei ihrem
Einsatz in Oberschlesien fielen sie weg. Bei Annäherung der
sowjetischen Truppen Ende Januar 1945 erhielten die Jungen
die Volkssturmarmbinden „Deutsche Wehrmacht", um nicht als Partisanen betrachtet zu werden, was
beim Vormarsch der sowjetischen Truppen im damaligen Warthegau Mitte Januar geschehen war.
Da die Sowjets das KZ vor den Flak-Stellungen erreichten, wurden sie noch mit den Flak-Geschützen in Auschwitz beschossen. Dann
jedoch befahl der Batteriechef den Abmarsch der Luftwaffenhelfer, die Soldaten verblieben in der Stellung. Die nicht mehr bedienbaren fest installierten
Geschütze wurden noch unbrauchbar gesprengt. Der Batteriechef ist in der Stellung gefallen.
In mehreren Tages- und Nachtmärschen wurde ein noch in Betrieb befindlicher Bahnhof erreicht. Hier erfolgte am 31. Januar 1945 für die noch sieben
Crailsheimer Luftwaffenhelfer des Jahrgangs 1928 die offizielle Entlassung. In Crailsheim kamen sie per Zug am 2. Februar 1945 an. Hier ging niemand mehr zur Schule, die dann ohnehin nach dem Angriff am 23. Februar den Unterricht einstellte. Die Einberufung zum Reichsarbeitsdienst war absehbar.
Die drei in Stuttgart verbliebenen Luftwaffenhelfer kamen erst am Ostersonntag 1945 in Crailsheim an.