Feindsender
Zu Kriegsbeginn – am 1. September 1939 – wurde in Deutschland
die
„Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen" erlassen.
Damit wurde das „absichtliche Abhören ausländischer
Sender
und die Verbreitung der Inhalte" verboten und strafbar.
Ein Straftatbestand war geschaffen: das "Rundfunkverbrechen".
Für die Ermittlung war die geheime Staatspolizei – die Gestapo – zuständig.
Es waren vor allem die Androhung von Strafen und die Furcht vor
Denunzierungen, die das Abhören ausländischer Sender zu einer
riskanten Angelegenheit machten.
Die Schätzungen darüber, wer das dennoch tat, liegen breit gefächert in Millionenhöhe.
Eine genaue Feststellung war weder von ausländischer noch von deutscher Seite möglich.
Nach dem Krieg durchgeführte Umfragen ergaben sehr hohe Bekennerzahlen, jeder zweite Erwachsene wollte Auslandssender
gehört haben.
Feindsenderhören musste jedoch nicht unbedingt NS‑Gegnerschaft bedeuten.
Oft war es einfach „Informationshunger", denn selbst den bewussten
Nationalsozialisten war klar, dass die die deutsche Nachrichtenversorgung unter der Obhut des
Reichspropagandaministeriums und damit von Joseph Goebbels stand.
Technisch möglich war das Abhören mit normalen Radiogeräten selbst mit dem Volksempfänger - wenn die Programme im Sendebereich der Mittelwellen ausgestrahlt wurden. Das war schon bei Kriegsbeginn für englische und
schweizer Programme der Fall.
Am häufigsten wurden im Kriegsverlauf die BBC und Beromünster gehört, die zu bekannten Zeiten sendeten.
Politische Sendungen in deutscher Sprache hatte die British Broadcasting Corporation im September 1938 aufgenommen.
Seit 1941 waren sie der Dienststelle Political Warfare Executive (PWE) unterstellt, die für die psychologische Kriegsführung der Engländer zuständig war.
Die Sendungen waren kurz und über den Tag verteilt.
Die Hauptnachrichtensendung war um 22:00Uhr.
Sendezeiten und Wellenlängen wurden durch Flugblätter bekannt gegeben. Eingeführt wurden die Sendungen mit dem eindrucksvollen Schicksalsmotiv aus der 5. Sinfonie von Beethoven.
Deutschen Hörern bekannt waren die Kommentatoren Lindley Frazer und Sefton Delmer.
Delmer, ein ehemaliger englischer Berlin-Korrespondent, antwortete u.a. auf die wöchentlicher Kommentare von Hans Fritsche, dem Rundfunksprecher des
Reichspropagandaministeriums.
Mitarbeiter der BBC waren eine Reihe deutsche Emigranten – nach außen bekannt war nur Thomas Mann, der unter seinem Namen regelmäßig Kommentare sprach.
Ein Gestapobericht von 1941 schätzt, dass zu dieser Zeit etwa eine Million deutscher Hörer regelmäßig das deutsche Programm der BBC hörten; die Zahl dürfte angesichts der im
Verlauf des Krieges zunehmend verbreiteten Ansicht, dass man den eigenen Nachrichten kaum noch Glauben schenken könne, weiter gestiegen
sein.
Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass mein Vater regelmäßig
ausländische Sender hörte, dies aber allein in seinem Zimmer hinter verschlossener Tür tat und die Familie nicht informierte. Erst in der letzten Phase des Krieges – als der alliierte Vormarsch auf
deutschem Boden stattfand – hörten wir gemeinsam täglich alle erreichbaren Sender, denn das war für das eigene Verhalten lebensnotwendig
geworden.