Volkssturm
Der Erlass zur Bildung des Volkssturms trägt das Datum 25. September 1944. Er wurde am 26. 9. von Hitler unterzeichnet und am 27. 9. den Gauleitungen bekanntgegeben. Eine erste Ausführungsbestimmung von Bormann trägt
ebenfalls dieses Datum. Eine zweite Ausführungsbestimmung folgte am 12. Oktober 1944 .
Rechtlich basierte der Erlass auf der Haager Landkriegsordnung. Es heißt dort sinngemäß, dass auch Milizen und Freiwilligenkorps unter die Bezeichnung „Heer“ fallen, wenn sie unter dem Kommando eines Führers stehen, ein aus der Ferne erkennbares Abzeichen tragen, die Waffen offen führen und wenn sie die Gesetze und Gebräuche des Krieges beachten. In einem Zusatzartikel wird bei Herannahen des Feindes und Zeitmangel bei der Organisation auch als genügend erachtet, wenn die Waffen offen getragen und die Gesetze und Gebräuche des Krieges beachtet werden.
Veröffentlicht wurde der Aufruf des Volkssturms am 18. Oktober 1944 mit dem ausdrücklichen Hinweis auf die Völkerschlacht bei Leipzig, durch die „Preußen das Joch der Unterdrückung durch Napoleon abschüttelte“.
Am 12. November 1944 - einem Sonntag - fand die öffentliche Vereidigung des Volkssturms im
ganzen Reich statt.
Die Eidesformel lautete:
„Ich schwöre bei Gott diesen heiligen Eid, dass ich dem Führer des Großdeutschen Reiches, Adolf Hitler, bedingungslos treu und gehorsam sein werde.
Ich gelobe, dass ich für meine Heimat tapfer kämpfen und lieber sterben werde, als die Freiheit und damit die soziale Zukunft meines Volkes preiszugeben.“
In einem Ausführungserlass vom 3. November 1944 wurden die einzelnen Aufgebote für den Volkssturm geregelt:
Das erste Aufgebot bestand aus Männern der Jahrgänge 1924 bis 1884, deren Einsatz möglich war, „ohne lebenswichtige Funktionen in der Heimat zu gefährden“.
Zum zweiten Aufgebot gehörten die gleichen Jahrgänge, die „in kriegswichtigen Betrieben, im Nachrichten- und Transportwesen oder in anderen lebenswichtigen Funktionen in der Heimat tätig sind“.
Das dritte Aufgebot stellten die Jahrgänge 1928 bis 1925 dar, sofern sie noch nicht eingezogen waren, d. h. hauptsächlich die Hitlerjugend.
Das vierte Aufgebot bestand aus „zum Kriegsdienst nicht mehr Tauglichen, die zu Wach- und Sicherungsaufgaben verwendet werden können“.
Das erste Aufgebot waren schon aus dieser Definition heraus vorwiegend ältere Menschen, die jüngeren fand man eher im zweiten Aufgebot.
Der Volkssturm in Crailsheim
Am Sonntag, dem 12. November 1944, trat der Volkssturm
in Crailsheim zu seiner Vereidigung auf dem Schlossplatz an. Am Tag davor war in der „HohenloherZeitung"
bekannt gegeben worden, wo die Zellenleiter sich mit ihren Männern zu versammeln hätten - und dass sie verantwortlich dafür sind, dass auch alle Volkssturmmänner anwesend sind. Anschließend war eine Kundgebung geplant.
In der „Hohenloher Zeitung“ vom 13. November 1944 heißt es dazu u.a.
„Schon in der Morgendämmerung des gestrigen Sonntags eilten die Crailsheimer Männer zu ihren Sammelstellen auf den Parkplatz und den Spitalplatz, wo sie bei einem Appell namentlich aufgerufen und
listenmäßig erfasst wurden. Danach formierten sich die Kompanien zum Aufmarsch auf dem Schlossplatz, wo in einer erhebenden Feierstunde mit der Ehrung aller Gefallenen unseres Volkes die Vereidigung
des Volkssturms erfolgte. … Daran schloss sich ein Propagandamarsch durch die Stadt an, der auf der Volksfestwiese seinen Abschluss fand.“ An der Feierstunde nahmen eine
Ehrenkompanie der Wehrmacht, eine Abordnung der Verwundeten des Reservelazaretts Crailsheim teil. Die hervortretenden Persönlichkeiten der Feierstunde waren Kreisleiter Hähnle, Bürgermeister Fröhlich
, Oberst Fruhner als Standortkommandeur und der Leiter des Reservelazaretts Oberstabsarzt Dr.Lang.
Konrad Rahn schildert die Situation
des Crailsheimer Volkssturms inseiner Chronik (S.80ff) so:
Der Flugplatz hatte
seinen eigenen Volkssturm. Auch diese Leute waren mit Beutegewehren bewaffnet, und auf je 20 kam dann noch
eine Pistole und ein Maschinengewehr. Der übrige Volkssturm bestand aus der Pionier-Kompanie mit 80/100 Mann, der Bosch-Kompanie mit 246 Mann und der allgemeinen Kompanie mit etwa 120 Mann. Die Ausbildung erfolgte durch Unteroffiziere des Flugplatzes in den
Abendstunden und sonntags und hat knapp zwei Monate gedauert.
Es fehlte an jeglichem Ausbildungsmaterial. Die Unteroffiziere zeigten anHand von Waffen, wie viele Teile z.B. das
98er Gewehr oder die Pistole 08 hatte; aber dieser ganze Unterricht war rein rekrutenmäßig und die im Unterricht gezeigten Waffen haben dem Volkssturm nie zur Verfügung gestanden. Die Zug- und Gruppenführer hatten außerdem einen
achttägigen Ausbildungslehrgang im Fliegerhorst. Die Kompanie war in drei
Züge eingeteilt. Der gesamte Volkssturm unterstand dem Befehl des Kreisleiters Otto Haenle, dessen Stellvertreter Paul Rüdinger war.
Für den Kampf hatte der Volkssturm
anfänglich eine bescheidene Anzahl 98er Gewehre bzw. Karabiner, jedoch nicht in ausreichender Zahl. Diese modernen Waffen wurden dann auf höheren Befehl von der Gauleitung gesammelt und auf einem Lastwagen in Richtung Tübingen abtransportiert. Statt dessen wurden alte französische,
italienische, belgische und österreichische Beutegewehre ausgegeben, die nur drei Patronen fassen konnten, ja
teilweise hatten sie überhaupt nur einen Schuss. In Anbetracht der wenigen verteilten Gewehre war aber reichlich Munition vorhanden.
Außerdem waren auch noch moderne französische Maschinengewehre da mit ziemlich viel Munition, die sogar
gegurtet war. Aber als diese MGs ausprobiert wurden, trat Ladehemmung ein.
Panzerfäuste wurden jedem Bataillon etwa 10 bis 15 zugeteilt, die wieder auf die einzelnen Kompanien verteilt werden mussten. Infolge dieses Mangels
hat man ein fliegendes Transport-Kommando eingerichtet, welches die Panzerfäuste jeweils an den Ort schaffen
sollte, an dem es brenzlich wurde. Am Tage des ersten Einmarsches der Amerikaner waren indessen genügend Panzerfäuste vorhanden. Doch ist nicht von einem einzigen Volkssturmmann eine
Panzerfaust verwendet worden.
Die Ausbildung des Volkssturmes blieb also sehr mangelhaft und unvollständig, die Bewaffnung war einfach „lächerlich". Eine militärische Führung besaß diese Mannschaft auch nicht.
Interner SD-Berichte zum Aufruf des Volkssturms
Die folgenden Stimmen sind einem Bericht einer württembergischen SD-Hauptaußenstelle vom 8. November 1944 an den SD-Leitabschnitt in Stuttgart entnommen (Staatsarchiv Ludwigsburg, K111 Bü 59):
- Ein Kreisleiter: Eine
Meinung, die weit verbreitet ist, ist die, dass auf Grund des Aufrufs zu Volkssturm der Gegner seine Kampfmethoden verstärken wird. - Im engen deutschen Raum ist im Gegensatz zu Russland an einen Widerstand der Bevölkerung gar nicht zu denken. Selbst wenn der Wille der Bevölkerung da wäre. So wäre dieser Widerstand in kurzer Zeit beseitigt. Es darf nicht vergessen werden, dass wir im 6. Kriegsjahr sind und
die Bevölkerung kriegsmüde ist.
- Starke Bedenken werden immer wieder laut darüber, dass die Partei bzw. SA, NSKK usw mit der Führung und Bildung der Volksstürme betraut wurden. Man ist der Meinung, dass die Partei die ganze Angelegenheit nicht mit dem notwendigen Druck durchfechtet und es wiederum nur der kleine Volksgenosse sei, der hier erfasst werde, während die oberen 10.000 wieder alle Herzfehler und andere Beschwerden hätten.
- Allgemein ist die Ansicht vertreten, dass der Volkssturm nur dann richtig werden dürfte, wenn unter militärischen Oberbefehl gestellt wird.
- Der Volkssturm wird aufgerufen, weil dem Ansturm unserer Gegner außer Menschen und Blut nichts mehr entgegenzusetzen ist. Der Krieg ist
100%ig verloren. Die Schuld daran will man dem Volk zuschieben.
Die Ausstattung der Angehörigen des Volkssturms mit brauchbaren Waffen dürfte sehr erschwert sein. Ohne entsprechende Waffen ist die Einsatzfähigkeit praktisch ohne Wert.
Die geeignete Kleidung fehlt fast vollständig. Geländeübungen usw können ohne entsprechende Kleidung kaum durchgeführt werden.
Die Personen, die für den Volkssturm in Frage kommen, sind größtenteils infolge irgendwelcher Leiden nur beschränkt tauglich und daher stärkeren Anforderungen nicht gewachsen. Ein Arzt: Es, fragt sich, ob es
wichtiger ist, dass diese Männer weiterhin in ihrer Arbeit voll einsatzfähig und leistungsfähig bleiben, oder ob sie in ihrer spärlichen Freizeit beim Volkssturm lernen, was sie ohnehin schon können, und damit ihre Gesundheit noch vollständig ruinieren, so dass
sie auch als Arbeitskräfte ausfallen.